KI und ich: Auf der Suche nach der „echten“ Kreativität

KI und ich

Auf der Suche nach der „echten“ Kreativität

von Tanja Deuerling

Zum Jahresauftakt habe ich mir ein besonderes Geschenk gemacht und ein Schreibseminar bei Daniel Schreiber gebucht. Ich habe jeden seiner autobiografischen Essays gelesen und dabei so viel Tiefe und Klugheit gefunden, dass es mich jedes Mal begeistert hat. Er schafft es, universelle Themen so mit einem persönlichen Zugang zu verhandeln, dass man auch schwere Kost wie Trauer und Einsamkeit gut verdauen kann. Wenn Daniel Schreiber ein neues Buch veröffentlicht, hebe ich mir die Lektüre für besondere Stunden auf und lese so langsam, dass ich möglichst lange etwas davon habe. Ich bin ein echtes Fangirl und will ihn kennenlernen und von ihm lernen. Was kann es Besseres zum Start in ein neues Jahr geben?

Ich bin aufgeregt, als ich anreise. Jede Teilnehmer:in soll mit einem Text oder Schreibprojekt in die stille alte Villa in den Kasseler Bergen kommen. Wir sind zu neunt mit Daniel und haben das ganze schöne Haus für uns. In dieser Atmosphäre wollen wir uns gemeinsam mit unseren Texten und unserem Schreiben auseinandersetzen. Ich habe meinen „KI und ich“- Blog dabei und will hier einen Schritt weiterkommen, denn ich habe das Gefühl, dass ich es nicht schaffe, wirklich persönlich zu schreiben. In meinem Blog soll es darum gehen, was KI mit meiner und unserer Kreativität macht. Und der Frage, was es mit meiner Kreativität macht, weiche ich irgendwie aus.

Schon in der Vorstellungsrunde am ersten Nachmittag wird mir bang. Ich merke, es geht ans Eingemachte und ich kann mich nicht so gut wie sonst in meine coole Professionalität flüchten. Ich fühle mich fehl am Platz. Sooo tief wollte ich nun nicht einsteigen, ich will doch nur schreiben. Aber was heißt das: Schreiben? Was heißt es, kreativ zu sein?

Was macht KI mit unserer geliebten Kreativität? Mit dieser Frage habe ich meinen Blog gestartet. Kreativität in allen Facetten ist mein Thema, vielleicht mein Lebensthema. Ich habe Kreativität mit meiner Doktorarbeit erforscht und vermessen, selbst als Kreative gearbeitet, andere dazu beraten. Und jetzt kommen KI-Systeme, die kreative Arbeiten übernehmen. Klar, das ist ein Thema für mich, damit muss ich mich als Kreativ- und Innovationsexpertin auseinandersetzen und ich freue mich, dass ich wieder ein Feld habe, in das ich mich hineinarbeiten kann.

Es macht mir Spaß, mich mit Tools und KI-Expert:innen auseinanderzusetzen. Aber irgendetwas fehlt, ich habe das Gefühl, dass ich noch nicht am Kern bin, was KI mit Kreativität wirklich macht. Ich habe verschiedene Texte dazu angefangen, aber immer wieder denke ich, dass mir etwas Wichtiges durch die Finger flutscht wie ein nasses Seifenstück, wenn ich es greifen will. Ich spüre, da ist etwas, aber ich komme immer nur auf die gewohnten Phrasen: Klar, KI unterstützt Kreative und erlöst sie von Routine-Tätigkeiten. Super, das schafft mehr Raum für echte Kreativität. Bedenklich, es könnten Arbeitsplätze verloren gehen. Sicher, KI ist nur ein Tool. Aber ja, toll, was KI-Systeme alles können! Kann man mal schnell noch die Dos und Don’ts aufzählen?

Je mehr ich versuche, diese KI-Narrative beiseite zu schieben, desto mehr merke ich, dass KI nur die Spitze des Eisberges ist, und mich eigentlich eine viel tiefere Fragestellung zu Kreativität bewegt: Was soll Kreativität eigentlich sein und wozu brauchen wir sie wirklich?

In dem Seminar, mit dem ich ins Jahr gestartet bin, habe ich eine Ahnung davon bekommen und eine Art von Kreativität bei mir entdeckt, die verschüttet gegangen ist oder vielleicht nie richtig wachsen durfte: Es ist die Kreativität, die nichts will, außer zu sein. Die sich dem Prozess hingibt, einfach macht, ohne schon vorher auf das Ergebnis zu schauen.

Ich versuche es mal am Beispiel meiner Art zu schreiben klarer zu machen: Ich verfasse in der Regel meine Texte möglichst effizient. Sie sollen klug und witzig und leicht konsumierbar sein und damit gut ankommen. Ich bin darin so geübt, dass die Textbausteine nur so in die Tastatur purzeln und dabei schneller sind als meine komplexen Gedankengänge, die viel tiefer gehen, mit Emotionen gepaart sind und mich zu dem führen, was mich wirklich bewegt. Ich kann diese Gedanken nicht so schnell in Worte fassen und aufschreiben, weil ich mir erst die Zeit geben muss, das was da unbewusst in mir schlummert in mein Schreiben einfließen zu lassen. Dazu brauche ich Ruhe und keinen Druck und die Möglichkeit, dass mein Text nichts wird, also nicht verwertbar ist.

Ich wurde von meinen Mitschreibenden in der Villa liebevoll die „Verwerterin“ genannt, weil ich bei jedem Text sofort daran denke, was herauskommen soll, immer den Nutzen, den möglichen Erfolg im Kopf habe. Das habe ich Jahrzehnte lang gelernt, professionalisiert und verinnerlicht. Und ich merke, dass diese Fähigkeit genau das ist, was mich daran hindert, mit meiner Kreativität andere Wege zu gehen, vielleicht dahin, wo es nicht so gefällig und massentauglich ist und wo es anstrengend werden könnte.

Ich habe mir diese Art von Kreativität, ich nenne sie mal freien Kreativität, schon ewig nicht mehr erlaubt. Aus Angst davor, nicht effizient, nicht gut genug, vielleicht sogar lächerlich. Und in unserer auf Effizienz getrimmten Gesellschaft bin ich damit mehr als gut durchgekommen und wurde dafür immer belohnt. Aber ich habe dabei etwas verloren, und damit bin ich bestimmt nicht die Einzige: den Spaß und die Lust, einfach mal was zu machen, zu schreiben, auch wenn es nichts „bringt“. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Verlust an einer freien Kreativität unser aller Leben ärmer macht – als Menschen und als Gesellschaft.

Denn Kreativität ist nicht nur etwas, was Nutzen bringen muss – zumindest nicht im ökonomischen Sinn. Kreativität ist ein menschliches Bedürfnis nach Gestaltung, Wachstum, nach Resonanz. Wir wollen uns entwickeln und uns dabei zeigen, wir wollen in der Welt mit anderen sein und mit ihnen kommunizieren. Obwohl es anscheinend immer mehr professionelle Kreative gibt und immer mehr Bedarf an kreativen Produkten, finde ich von dieser freien Kreativität immer weniger. Sie ist so stark formatiert, dass sie mehr einer Simulation von Kreativität gleicht. Ich selbst weiß, wie effizient diese Simulationsmaschine funktioniert und kann sie super bedienen. Und – nun komme ich doch noch zur künstlichen Intelligenz – diese Effizienzschraube wird mit KI-Systemen noch um einen Quantensprung weitergedreht.

Was macht also KI mit unserer geliebten Kreativität? Mit Kreativität, die ökonomisch orientiert ist, eine ganze Menge. KI-Systeme sind in Lage effizient immer mehr Routine-Aufgaben von Kreativen zu übernehmen. Sie werden dabei helfen, kreative Produkte in großen Massen erzeugen, die vermutlich nicht besonders kreativ sind, aber für bestimmt Zwecke ausreichen. Sie werden kreative Arbeiter:innen entlasten oder vielleicht arbeitslos machen. KI wird Kreativität in den Kreativen Industrien revolutionieren. Aber diese Art von ökonomisierter Kreativität, die KI jetzt schon so gut und bald noch besser simulieren kann, ist vielleicht gar nicht unsere geliebte Kreativität.

Vielleicht ist die Kreativität, die wir lieben und schützen sollten, diese andere:
Die, die sich auf die Suche macht, verschlungene Wege geht, die vielleicht nirgendwo hinführen und vielleicht irgendwohin, wo sie etwas mit mir zu tun hat. Eine Kreativität, die dahin geht, wo es Überraschungen gibt, schöne und weniger angenehme. Diese Kreativität, bei der wir ins Risiko gehen, aber uns spüren und Resonanz erzeugt. Und die am Ende doch etwas entstehen lässt, dass sehr viele Menschen berührt und – hier freut sich die „Verwerterin“ in mir – genau damit Erfolg haben kann.

Mit dieser Kreativität hat KI bei aller Faszination nichts zu tun. KI kennt kein Ich, keine Emotionen, keinen Flow, sie hat kein Bewusstsein, kein Bedürfnis zu wachsen und mit anderen in Resonanz zu treten. Deshalb wird KI nie wirklich kreativ sein. Sie ist brillant und in vielen Dingen besser als wir Menschen, sie kann Kreativen bei einer ökonomisierten Kreativität helfen und damit im besten Fall Raum für eine freie Kreativität schaffen. Aber: KI kann die „echte“, freie Kreativität nicht ersetzen, und das ist auch gut so.

Als nach vier Tagen das Seminar vorbei ist, möchte ich nicht abreisen, sondern in der Villa bleiben und mit all den lieben Menschen einfach weiterschreiben. Nicht, weil ich glaube, dass ich am Ende einen super Text produziert haben werde, sondern weil ich an einem Punkt beim Schreiben gekommen bin, wo ich den Weg einfach weitergehen will – ohne zu wissen, wohin er mich führt. Danke, lieber Daniel, dass Du mich mit deiner Klugheit, deiner Empathie, deiner unendlichen Geduld, deinen präzisen und liebevollen Analysen ein Stück begleitet hast.

Keinen Artikel von „KI und ich“ mehr verpassen! Hier geht es zur Anmeldung für den kostenlosen Newsletter