07 Mrz Der Trojanische Biber oder wie Nicht-Techies KI lernen
KI und ich:
Der Trojanische Biber oder wie Nicht-Techies KI lernen
Ich bin absolut kein Techie und muss mir technische Hintergründe hart erarbeiten. Deshalb habe ich immer Respekt, wenn ich mit Leuten rede, die KI bis in die Tiefen der Technik verstehen. Jemand wie Jan Eggers. Er ist KI-Koordinator beim Hessischen Rundfunk und extrem technikbegeistert, was man spätestens merkt, wenn man seinen Blog janeggers.tech liest. Wir sind in Kontakt gekommen, weil wir uns beide mit dem Thema Formatentwicklung mit KI befassen. Als ich unser Gespräch für meinen Blog mitschneiden will, versagt mein KI-Meeting- App. Besser gesagt, ich versage bei der Benutzung der App. Von unserem Gespräch ist nur mein Ton aufgezeichnet, wir müssen die Session komplett wiederholen. Es ist die perfekte Rampe, um uns darüber zu unterhalten, wie ich als Nicht-Techie mit KI umgehe. Und mit welchem magischen Trick ein Techie wie Jan es schafft, andere für KI-Anwendungen und die technische Funktionalität dahinter zu begeistern. Über Formatentwicklung haben wir natürlich auch geredet.
Jan Eggers: Merkst du manchmal, dass du bei KI über die technische Seite stolperst? Mir ist ja sehr wichtig, dass da immer auch Technik dahinter liegt. Wo ist der Punkt, an dem du aussteigst?
Tanja Deuerling: Ich muss gestehen, dass mein „echtes Ich“ relativ früh aussteigen will, weil ich einfach kein ganz tiefes technisches Verständnis habe, wie Du vielleicht gemerkt hast. Bei KI möchte ich verstehen, wie es funktioniert oder auch, was nicht funktioniert. Und wenn sogar ich es verstehe und schaffe, es zu erklären, dann werden es die anderen auch verstehen. Lass es mich mal so ausdrücken: Ich bin ein gutes Beispiel des inneren Widerstands. Wenn ich jemanden wie dich treffe, der tief in die Technik einsteigen kann, habe ich ganz große Ehrfurcht. Wenn ich deinen Blog lese, verstehe ich, was du schreibst, aber ab einem bestimmten Punkt muss ich mich richtig konzentrieren. Dann denke ich, okay, der Jan ist Journalist, der versucht schon einfach zu schreiben, das heißt, sein Verständnis geht noch weit über das hinaus, was er da schreibt.
Jan: Ja, ich bin eigentlich Journalist, wobei ich beim Bloggen ein bisschen die Rolle wechsle. Diese Blogartikel sind Gedächtnisprotokolle. Ich schreibe das auf, was ich rausgefunden habe. Das halte ich möglichst detailliert fest, damit ich es selbst noch verstehe. Manchmal geht das vielleicht ein bisschen tiefer, als man will. Ich habe in meinem Blog mal untersucht, wie stark der Zufall bei ChatGPT eine Rolle spielt. Mit ganz vielen Experimenten habe ich herausgefunden, dass ein bestimmter Wert auf 0,5 eingestellt sein könnte. Das finde ich super faszinierend und für mich super wichtig. Aber ehrlich, von den ChatGPT-Nutzern interessiert es natürlich nicht wirklich viele. Die müssen nur wissen: Zufall ist wichtig bei KI. In meiner Rolle als Journalist versuche ich, mich ein bisschen zu beherrschen.
Tanja: Auf der einen Seite Geek, auf der anderen Seite Journalist. Auf deiner E-Mail-Signatur steht KI-Koordinator. Was ist das?
Jan: Das ist ein Job, den es vor einem Jahr noch nicht gegeben hat und in zwei Jahren vielleicht nicht mehr braucht. Aber im Augenblick merken wir, KI verändert unheimlich viel, schafft wahnsinnig viele neue Möglichkeiten, aber auch eine ganze Menge neuer Fragen. Mein Ziel ist es, Journalistinnen und Journalisten neue Werkzeuge in die Hand zu geben und deren Fragen beim Gebrauch dieser Werkzeuge zu beantworten – und vielleicht auch dazu, wie sich die Welt drumherum ändert.
Tanja: Und wie machst du das?
Jan: Ich habe einen magischen Trick, den ich keinem verrate, aber wir können ja hier drüber reden: Ich denke mir immer etwas Spielerisches aus. Ich glaube, das macht mich und meine Technikseite aus: Ich spiele gerne mit Technologie. Ich experimentiere gerne, und ich versuche ein bisschen von dieser Freude daran zu vermitteln. Gerade Journalistinnen und Journalisten, die sind ja oft so ein bisschen skeptisch. Das kennst du auch, oder?
Tanja: Ja, kenne ich total. Ich habe oft das Gefühl, dass sich die Leute nur mit KI befassen, weil sie diese Fear of Missing Out haben. Muss jetzt halt sein, sonst gehöre ich nicht mehr dazu, aber eigentlich will ich es nicht.
Jan: Ja, kann man das wieder wegnehmen? (lacht) Also, ich nehme einen emotionalen Köder und sage, guckt mal, hier ist eine Spielerei, und die macht Spaß. Ich habe mir zum Beispiel ein einfaches Spiel ausgedacht. Ich nehme einen Bildgenerator, in dem Fall Stable Diffusion, den kann man ohne Anmeldung nutzen, und sage den Leuten: Macht mir mal ein Bild von einem Biber. Nicht benutzen dürft ihr die Wörter Biber, platter Schwanz, Schneidezähne, Baum und Damm. Die Leute geben irgendwas ein und was dabei rauskommt, ist meistens so absurd lustig, dass man schon am Kichern im Raum merkt, dass sich irgendwas bewegt hat. Dann kann ich paar Sachen ausprobieren, die mir einen praktischen Nutzen bringen. Ich kann zum Beispiel gucken, wie ich so einen Bildgenerator einsetze, um ein Symbolbild für einen Artikel zu bauen, den ich gerade schreibe. Dann denke ich, okay, so einfach geht das. Wir alle wissen, Bildgeneratoren sind wunderbare Inspirationsmaschinen, und das ist schon der erste Schritt dahin zu sagen, naja gut, ich wende das vielleicht auch an.
Tanja: Man kann sich da auch ganz schnell drin verlieren. Das kenne ich, wenn ich mit Bildgeneratoren bastle, sind dann ruckzuck ein, zwei Stunden vorbei. Das Spielen hilft mir aber, mich damit zu befassen. Wenn ich nicht den Anspruch habe, dass ein Ergebnis rauskommt, was ich nutzen kann, sondern dass ich eben erstmal schaue, was macht die denn, diese KI.
Jan: Du sagst, das kenne ich auch. Journalist:innen sind ja potenziell kritisch. Ist das denn bei anderen Menschen anders? Ist das nicht grundsätzlich so, dass KI einfach erstmal wahnsinnig viel Ängste auslöst, und deswegen gibt es auch so ein bisschen Distanz?
Tanja: Ich bin ja sowohl Journalistin als auch Kreative, und mit diesen beiden Gruppen und mit diesem Feld setze ich mich auseinandersetze. Es ist jetzt das erste Mal, dass unsere Jobs mit der KI-Revolution in Frage gestellt werden. In den Revolutionen bisher ging es immer um andere Leute, zum Beispiel bei der industriellen Revolution oder der technischen Revolution. Auch seit dem Computer werden kreative Leistungen immer noch gebraucht. Durch KI werden unsere Fähigkeiten, das, was wir gelernt haben, auf eine ganz grundsätzliche Art und Weise in Frage gestellt. Bei uns Journalist:innen und Kreativen geht es ans Eingemachte. Aber ich bin auch vorsichtig, wenn Leute noch gar nicht mit KI gearbeitet haben und sich nicht trauen, das zuzugeben, weil dann so ein Satz kommt, wie: Waaas, Du hast noch nie mit ChatGPT rumgespielt? Man muss schauen, dass man jeden mitnimmt. Ich mache wie du Workshops und für mich ist es okay, wenn jemand nichts mitbringt. Dann gab es wohl irgendeine Hürde und irgendeinen Grund.
Jan: Was sind die wichtigsten drei Dinge, die du Leuten vermittelst, die KI gerade kennenlernen wollen?
Tanja: Also das Erste: Ich kann dir KI theoretisch erklären, aber du musst was mit KI tun, um KI auch zu verstehen. Das Zweite: KI ist nicht per se klüger als du. Wenn du Schrott reingibst, kommt auch Schrott raus. Und das Dritte: KI geht nicht mehr weg, also es gibt eigentlich keine Option, sich nicht damit zu befassen. Es ist wie das Internet, das geht auch nicht mehr weg.
Jan: (lacht) Das hört wieder auf! Das ist tatsächlich einer der ältesten Onliner-Witze.
Tanja: (lacht) Und was sagst du deinen Leuten? Was sind deine drei Basics?
Jan: Ausprobieren, selbst Erfahrungen aus erster Hand sammeln, das halte ich auch für super wichtig. Bei dem zweiten Punkt, da habe ich ein bisschen eine andere Vorstellung: Ich schaue sehr genau darauf, wie KI eigentlich funktioniert. Das ist kein Selbstzweck, sondern sagt mir eine Menge darüber, was funktioniert und was nicht. Viele Leute neigen dazu, die KI zu vermenschlichen. Man kann sich mit ihr unterhalten und folglich sind sie überzeugt, die lernt mich, wie ein Mensch, besser kennen und antwortet mir dann auch immer mehr so, wie ich das haben will. Aber vielen ist gar nicht klar, was da passiert und dass ChatGPT kein Gesprächspartner wie ein Mensch ist. Wenn ich als Mensch mit einem anderen Menschen rede, lerne ich durch jedes Gespräch und jede Erfahrung dazu. Das ist bei ChatGPT nicht so und deswegen gehen bestimmte Dinge nicht so, wie man sie erwartet. Das ist dann oft ein sehr technischer Ansatz. Aber ich halte das für wichtig, weil wir als Profis auch unsere Instrumente so gut wie möglich können müssen. Und das Dritte, was ich den Leuten sagen und beibringen möchte, ist tatsächlich im Sinne von „geht nie wieder weg“, vielleicht in einer anderen Ausprägung: Schaut, wie ihr das Beste für euch rausholt! Was KI mit unserem Mediensystem anstellt, das wissen wir noch nicht, aber für meine Arbeit, kann ich schauen, was für mich drin ist und was mir erstmal Nutzen bringt.
Tanja: Ich stelle mir oft die Frage, ob KI die Menschen dümmer macht. Wenn Du irgendwann nicht mehr weißt, wie etwas auf eine menschlich durchdachte Art und Weise früher mal zustande gekommen ist, was macht es mit uns Menschen? Macht es die Menschen am Ende dümmer, wenn sie nicht mehr selbst denken müssen, sondern KI das übernimmt?
Jan: Ich denke, man verliert was, man gewinnt was. Vor zehn Jahren standen wir noch auf Party zussammen, dann kam jemand und sagte, hast du gehört, die Schauspielerin ist gestorben …, die mit diesem Boxer verheiratet war …, der damals in …, wer war das noch, wie hieß der gleich? So, heute zucken drei Leute gleich ihr Telefon, und du hast sofort die Antwort. Du hast die Möglichkeit, viel schneller und souveräner mit Informationen umzugehen. Klar, wir werden auch Dinge verlieren, aber das ist ein Thema für die Forscher.
Tanja: Noch eine Frage zu unserem gemeinsamen Thema Formatentwicklung. Was glaubst du, wie KI für Formatentwicklung eingesetzt werden kann?
Jan: Ich habe ein paar Ideen dazu, ich weiß aber noch nicht, ob die richtig gut funktionieren. Das Einfachste ist KI als Kreativgenerator. Man sagt ChatGPT: Du bist jetzt Redakteur für ein Regionalradio und sollst dir überlegen, was du als Nachmittagsstrecke sendest. Entwickle doch mal 15 Ideen. Das ist schon ein Impuls. Dann kann KI diese Ideen testen. Wir machen das bisher so, dass wir uns Personas basteln, also fiktive Persönlichkeiten ausdenken, und versuchen, uns in die reinzudenken und sie zu befragen. Das Blöde ist nur, dass wir auf zwei Stühlen gleichzeitig sitzen müssen. Wir müssen in die Persona reinschlüpfen, und wir müssen auch derjenige sein, der das Format entwickelt. Jetzt könnte man eine Rolle der KI überschreiben. Man könnte ihr sagen, sei mal die und die Person und sag mir, was du darüber denkst. Das ist nur eine Imitation, aber für den ersten Eindruck reicht es vielleicht. Eine andere Sache, an der wir experimentieren, ist ein Format-Entwicklungs-Bot. Du hast mit mal gesagt, deine erste Frage ist immer: warum? Was will ich warum machen? Und wie und für wen? Da könnte KI die Rolle des Gegenübers übernehmen, das sagt: diese Antwort ist gut oder noch nicht so gut und vielleicht könntest du sie so formulieren. Das kann man natürlich noch besser mit erfahrenen Format-Entwickler:innen machen, aber vielleicht würde so ein Format-Entwicklungs-Bot, wenn er denn funktionieren würde, die Zugangshürde senken. Vielleicht habe ich einer KI gegenüber weniger Angst, mich mit meiner Idee zu blamieren.
Tanja: Super spannend. Ich finde, auf der einen Seite kann KI einen challengen, besser zu formulieren. Auf der anderen Seite hilft mir Prompten, mich zu strukturieren und klarer zu wissen, worauf ich hinauswill. Wenn ich ein Format entwickle, dann muss ich mich natürlich erst mal fragen: was sind die Einzelteile? Und wie kann ich sie gut zusammenfügen. Ich gebe zu, ich vermenschliche KI tatsächlich auch, und manchmal ist es wie ein Gespräch mit jemandem, der sich auskennt. Das ist manchmal super und manchmal auch total daneben. Das musst du unterscheiden können. Man braucht dieses Domänenwissen, um zu erkennen: macht KI gerade Schwachsinn, oder ist sie genial?
Jan: Leider ist sie auch sehr gut drin, irgendwas zu erzählen, was plausibel klingt. Und da lassen sich selbst Experten davon täuschen.
Tanja: Ja genau, mit unglaublicher Überzeugung Schwachsinn formulieren, das kann KI auch. Lieber Jan, vielen Dank für das – wieder – sehr schöne Gespräch.
Jan Eggers ist seit über 20 Jahren beim Hessischen Rundfunk – in den unterschiedlichsten Rollen: Hörfunk-Fachredakteur für Technik und Medien, Mitgründer und Redaktionsleiter des hr-Inforadios, Multimedia-Redakteur, Social-Media-Berater, Tech-Reporter, Corona-Zahlen-Redakteur und Datenjournalist – bis KI diesen Job weitgehend aufgefressen hat, weil immer mehr Erklär- und Experimentierbedarf rund um ChatGPT und Co. bestand. Jan lebt mit seiner Familie in Frankfurt
Ach ja, hier gibt es die Lösung zum Biber-Tabu-Prompt. Das Bild zum Artikel habe ich mit ChatGPT-4 – inklusive Tabu-Worte – kreiert.