KI als Grassroots-Bewegung: Wie künstliche Intelligenz im SWR wächst

KI als Grassroots-Bewegung:

Wie künstliche Intelligenz im SWR wächst

Jedes Medienunternehmen weiß mittlerweile, dass es besser früher als später mit KI arbeiten sollte. Doch wie implementiert man im laufenden Betrieb Tools und Techniken, die heute noch unsicher und morgen schon veraltet sind? Den einen richtigen Weg kann es dabei nicht geben, aber unzählige spannende Ansätze. Einen davon habe ich im SWR gefunden. Hier waren es vor allem die Mitarbeitenden, die den Einsatz von KI forcierten. Sie holten sich von der Geschäftsführung das Mandat, die KI-Aktivitäten im Haus zu koordinieren und gebündelt voranzutreiben. Im November 2023 startete eine Testphase, in der Anwendungen so weit entwickelt wurden, dass sie demnächst implementiert werden können.

Eine der Treiberinnen dieser Graswurzelbewegung ist Katja Beck. Sie ist Referentin im Bereich Strategie und KI-Koordinatorin. Man merkt ihr an, wie sie für KI brennt und wie wichtig es ihr ist, möglichst viele Kolleg:innen mit ihrer Begeisterung anzuzünden. Gleichzeitig ist sie Realistin und weiß einzuschätzen, was in einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen geht und was nicht. Im Interview erzählt sie mir, wie die Graswurzelbewegung zum Projekt wurde, wie die Testphase verlaufen ist und wie das Haus ein eigenes, sicheres GPT aufbaut und testet.

Tanja Deuerling: Katja, wie bist Du zu Deiner Rolle in der KI-Koordination gekommen?

Katja Beck: Das hat sich aus meinem Interesse für KI ergeben. Ich kam nach einer krankheitsbedingten längeren Auszeit zurück und dachte: Das ist ja komisch. Als ich zu Hause war, habe ich alles rund um generative KI intensiv verfolgt und getestet, aber im SWR war das Thema weniger präsent, als ich erwartet hatte. Im Austausch mit Kolleg:innen habe ich dann gemerkt, dass es eigentlich schon viel Know-how und Ideen gibt. So ist dann ein Netzwerk von Mitarbeitenden geworden, die sich austauschen oder gemeinsam etwas ausprobieren. Quasi eine Art Grassroots-Bewegung für KI. Daraus ist dann auch die Koordinierungsstelle für KI entstanden, ein interdisziplinäres und bereichsübergreifendes Team, das von der Geschäftsleitung beauftragt wurde.

Tanja: Aber es gab ja schon Bereiche im SWR, die mit viel KI gearbeitet haben.

Katja: Klar, speziell im technischen Bereich oder der Dokumentation gibt es im SWR Abteilungen, die schon länger mit KI-Systemen arbeiten und auch eigene Anwendungen entwickelt haben. So gibt es bei uns beispielsweise eine Musikähnlichkeitssuche oder Tools, um Interviews zu transkribieren oder Artikel in eine gesprochene Version zu wandeln. Und natürlich hat auch die Geschäftsleitung die Wichtigkeit von KI erkannt. Aus meiner Sicht hat aber generative KI noch einmal eine Dynamik in das Thema gebracht, die speziell von größeren Unternehmen nicht so einfach aufzufangen ist. Das Interesse, aber auch der Zugang, zu KI-Anwendungen ist stark angestiegen. Viele nutzen KI-Tools bereits privat und haben sich da sehr viele Fähigkeiten angeeignet. Das ist für den SWR ein echter Schatz. Jetzt gilt es, diesen Schatz in geregelte Bahnen zu bringen und möglichst großen Mehrwert für den SWR daraus zu generieren.

Tanja: Du sprichst von geregelten Bahnen. Wie sehen die geregelten Bahnen im SWR aus?

Katja: Im ersten Schritt haben wir publizistische Leitlinien für KI entwickelt, die Orientierung bieten und regeln, wie wir mit KI umgehen wollen. Unsere journalistischen Grundsätze gelten ohne Ausnahme, und Transparenz ist uns sehr wichtig. Das heißt, wir kennzeichnen KI-Inhalte, damit diese für unsere Nutzer:innen erkennbar sind. Zudem kann nur im SWR freigegebene KI dienstlich genutzt werden.

Tanja: Ok, das sind die journalistischen Leitlinien, die sind gesetzt. Aber wie schafft es ein ganzes Unternehmen, die unterschiedlichsten KI-Anwendungen gleichzeitig in einer unsicheren Datensicherheitslage zu integrieren?

Katja: Das ist der zweite Schritt. Wir haben gesagt, wir wollen uns dem Thema KI praktisch nähern und Erkenntnisse für weitere strategische Entscheidungen gewinnen. Deshalb haben wir in der KI-Koordination ein Konzept für eine Testphase erarbeitet. Diese war für sechs Monate angesetzt und sollte ein gesicherter Explorationsraum sein. Das heißt: Es ist sehr viel erlaubt, aber es müssen auch Regeln eingehalten werden. So mussten alle Anwendungen trotzdem unsere Ansprüche an Sicherheit und Datenschutz erfüllen, und für Tests erstellte Inhalte durften nicht publiziert werden. Um Ideen und Bedarfe zu sammeln, gab es einen komplett offenen Aufruf. Wir haben zum Beispiel in unserem Intranet darüber berichtet oder Infoveranstaltungen gemacht. Egal, in welchem Bereich Kolleg:innen tätig sind: Jeder konnte sich beteiligen. Wir haben dann tatsächlich über 170 Einreichungen bekommen. Die wurden dann sortiert, und gemeinsam mit den Einreichenden geschärft oder ausformuliert. Am Ende blieben noch 120 Use-Cases übrig. Die wurden dann nach einem von uns festgelegten Scoring bewertet. Kriterien waren dabei die Klarheit der formulierten Idee, die Umsetzbarkeit und, ganz wichtig, der Impact für den SWR.

Tanja: Ihr habt in diesem Prozess also erst einmal versucht, die für den SWR wichtigsten KI-Anwendungen zu priorisieren?

Katja: Genau, wobei wichtig auch heißt, dass sie gute Erkenntnisse für den SWR liefern kann. Dadurch hatten wir einen Backlog mit 15 Anwendungsfällen, von denen wir möglichst viele umsetzen wollten. Mit drei sind wir dann gestartet: ein sicheres SWR-GPT, KI zur Übersetzung von Texten in „Leichte Sprache“ und der Einsatz von generativer Bild-KI. Jetzt, nach sechs Monaten, haben wir dreizehn Use-Cases nahezu abgeschlossen. Also eine gute Quote. Wobei es uns insgesamt nicht darum ging, dass am Ende zwingend eine fertige Anwendung oder eine Implementierung steht, sondern dass wir ausloten, wo wir stehen und wie bereit wir für KI sind. Wo sind unsere Stärken, aber auch die Schwächen, an denen wir arbeiten müssen.

Tanja: Ihr habt ein eigenes SWR-GPT entwickelt? Wie habt ihr das aufgebaut? Und kann man das jetzt schon nutzen?

Katja: Wir wollten eine sichere und geschützte KI-Chat-Anwendung und haben uns dann für eine Lösung in unserer Cloud entschieden. Dadurch haben wir volle Kontrolle und können uns zum Beispiel sicher sein, dass unsere Daten nicht für das Training einer KI genutzt werden. Die Nutzung erfolgt über ein eigenes Frontend, das ähnlich zu bekannten Chat Bots anmutet. Dabei ist es multimodal aufgebaut, es kann also nicht nur Text, sondern auch Bilder generiert werden. Wir sind damit in einer erweiterten Testphase. Wir testen es gerade mit mehr als 200 Kolleg:innen das SWR-GPT zu unterschiedlichen Fragestellungen.

Tanja: Mit welchen Daten habt Ihr das gefüttert, mit externen oder mit internen?

Katja: Unsere Anwendung kann mit unterschiedlichen Sprachmodellen arbeiten. Aktuell ist GPT-4 von OpenAI in Verwendung. Wir trainieren dabei kein Modell, sondern arbeiten an zwei Punkten: Das Prompting ist zentral für gute Ergebnisse. Hier setzen wir auf eine Prompt-Datenbank, in der funktionierende Prompts bereitgestellt werden. Andererseits möchten wir unser redaktionelles Wissen anbinden. Dafür braucht es aber noch einige Vorarbeiten.

Tanja: Das heißt, die Grunddaten sind von den angeschlossenen GPTs, ihr füttert sie aber mit eigenen Daten. Aber die Daten, die ihr rein gebt, gehen nicht nach draußen, die werden nur intern genutzt.

Katja: Genau. Also wenn man es vereinfacht erklärt, dann ist das der Cloud-Bereich bei unserem Anbieter, in dem die Sprachmodelle bereitgestellt werden. Das unterliegt den ganzen Unternehmenslizenzierungen, wo eben Privatsphäre, Datenschutz und so weiter eingehalten werden, und nicht mit den Daten trainiert wird.

Tanja: Lass mich noch mal zusammenfassen: Ihr habt sechs Monate getestet und ausprobiert. Beim Chatbot SWR-GPT seid Ihr noch in der Testphase. Wann ist das Projekt zu Ende, oder ist das ein fortlaufender Prozess?

Katja: Wir sind im November gestartet und die Laufzeit war bis Ende April. Den Mai nutzen wir für die Auswertung und um Vorschläge für das weitere Vorgehen zu erarbeiten. An SWR-GPT wollen wir auf jeden Fall weiterarbeiten und sehen viele Anwendungsmöglichkeiten für den SWR.

Tanja: Macht es Dich ungeduldig, dass es nicht schneller geht? Du redest von einem Prozess, der wahrscheinlich ein Dreivierteljahr dauert, bis etwas langfristig in die Implementierung geht.

Katja: Ich komme aus dem Online- und Social-Media-Bereich. Das sind Bereiche, in denen vor einigen Jahren ähnliche Diskussionen geführt wurden. Und einfach aus der Erfahrung heraus weiß ich, wie wichtig das ist, dass man Dinge so angeht, dass sie sicher und nachhaltig sind und den größtmöglichen Mehrwert für unsere Nutzer:innen und Mitarbeitenden bieten. Da ist es auch besser, nicht der Erste zu sein, der etwas umsetzt, sondern sich genau zu überlegen, was man erreichen will und wie man es bestmöglich angeht.

Tanja: Wie geht es mit der Graswurzelbewegung weiter?

Katja: Die Geschäftsleitung gibt dem Thema Priorität und hat uns in der KI-Koordination mit der Ausarbeitung eines Konzeptes zur nachhaltigen Steuerung des Handlungsfeldes KI beauftragt. Der kollegiale Austausch hat sich aber auch intensiviert. So gibt es inzwischen einen eigenen Teams-Raum, in den alle interessierten Kolleginnen eintreten können. Dort kann man sich austauschen und diskutieren. Über dieses KI-Netzwerk werden auch regelmäßig Stammtische angeboten, bei denen externe Expert:innen zu unterschiedlichen Themen referieren. Das sind alles super Möglichkeiten, um sich auf Stand zu halten und Gedanken zu teilen. So eine Art kollegiales Aufschlauen. Das Feedback von den Kolleg:innen dazu ist auch durchwegs positiv.

Tanja: Wie schafft ihr es, Kolleg:innen, die eher Ängste haben, mitzunehmen?

Katja: Wir haben versucht, allgemein Wissen über KI über unser Intranet zu bieten und über alle Schritte in der Testphase zu berichten, damit möglichst viele Kolleg:innen mitgenommen werden. Wir sind in einem engen Austausch mit unserer Personalentwicklung, was das Thema Schulungsmöglichkeiten angeht. Wir hätten aber gerne noch mehr gemacht. Ich denke, ein Unternehmen sollte wirklich viel in das Thema Information zu und über KI investieren, um einen guten Grundstock an KI-Wissen bei den Mitarbeitenden aufzubauen. Je mehr dazu kommuniziert wird, desto mehr werden Unsicherheiten abgebaut. Die Zauberbox, bei der Inhalte rausfallen und man nicht genau weiß, wie es funktioniert, löst mehr Ängste aus, als wenn man genau erklärt: Was sind die Mechanismen dahinter? Für was kann man es einsetzen? Und wollen wir vielleicht auch ganz bewusst auf manche Anwendungen verzichten?

Tanja: Vielen Dank für dieses Gespräch, Katja.

Katja: Dankeschön.

Katja Beck ist Dipl.-Ingenieurin für audiovisuelle Medien und ausgebildete Redakteurin. Nach mehreren Stationen in TV-Redaktionen und Produktionsfirmen, ist sie seit 2011 im SWR tätig und hat dort mehrere Jahre das Social-Media-Team geleitet. Seit vergangenem Jahr ist sie Teil der SWR Koordinierungsstelle für KI.

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