Kooperation ist King! Wie der KI-Change gelingen kann

KI und ich:

Kooperation ist King! Wie der KI-Change gelingen kann

KI verändert unsere Arbeitswelt. Das ist eine Binse. Tools und Automatisierungen machen vieles schneller, effizienter und definieren unsere Jobs neu. Doch es sind nicht nur die konkreten Anwendungen, die Medienunternehmen verändern. Es ist auch die Art und Weise, wie KI seit zwei Jahren massiv in unseren Alltag gecrasht ist: Jeder kann KI-Tools nutzen, damit experimentieren und seine Workflows zu verändern – und zwar in einem rasenden Tempo, das große Unternehmen oftmals überrollt. Die Taktgeber für diesen Change sind die Mitarbeitenden, die Antworten und Lösungen brauchen und diese mit Druck, aber auch mit enormer Innovationslust und viel Enthusiasmus einfordern. Ganz nebenbei sind sie dabei, die Unternehmenskultur zu verändern.

Beispiel MDR: Aus Eigeninitiative haben sich zwei Mitarbeitende vor eineinhalb Jahren aufgemacht, zusammen mit Kolleg:innen die unterschiedlichen KI-Initiativen im Haus zu bündeln und zu strukturieren. Der Datenjournalist Martin Paul und Bettina Friedrich, Referentin der Programmdirektion Leipzig, rannten bei den Mitarbeitenden und auch bei der Geschäftsleitung offene Türen ein. Die beiden haben seitdem viel auf die Beine gestellt. Vor allem haben sie einen Spirit von interdisziplinärer Kooperation und Innovationslust geschaffen und kommen fast nicht hinterher, alle Ideen umzusetzen. Wenn man Martin, mittlerweile KI-Redakteur im MDR, und Bettina trifft, weiß man warum: Die beiden brennen für die KI-Sache, sind aber realistisch genug, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Wie diese Schritte aussehen, welche Hürden es gibt, was richtig gut funktioniert und welche Tipps sie geben – das haben sie mir im Interview verraten.

Tanja Deuerling: Ihr arbeitet seit Anfang 2023 daran, das Thema KI im MDR voranzubringen. Mit welchen Emotionen und Erwartungen seid ihr gestartet?

Martin Paul: Eine spannende Frage. Ich habe dieses Thema in meiner datenjournalistischen Arbeit schon sehr lange auf dem Tisch. Ich habe gemerkt, dass es einen gewissen Handlungsdruck gibt, dass wir uns als MDR mit diesen Technologien auseinandersetzen und den Redaktionen das Wissen geben müssen, damit zu arbeiten und einschätzen zu können, was das für ihre redaktionelle Arbeit bedeutet. Das war der stärkste Motivator für mich. Dann habe ich Bettina getroffen, die quasi aus einer anderen Richtung, aber mit dem gleichen Mindset gekommen ist. Und dann kamen noch Johannes Schiller aus dem Innovationsbereich und Birk Anders von der technischen Seite dazu.

Bettina Friedrich: Wenn ich an die Emotionen denke, dann war da ganz viel Neugier, Lust, etwas aufzubauen, Lust, etwas zu implementieren und sehr viel Entdeckerfreude. Ich war gerade für vier Monate für ein Journalist-in-Residence-Programm weg vom MDR gewesen. Als ich wiederkam, habe ich geguckt: Wo gibt es schon was im MDR? Und festgestellt, dass an vielen Ecken und Enden mit dem Thema KI gearbeitet und experimentiert wird. Dann habe ich Martin getroffen und wir haben uns gesagt: Wir müssen es irgendwie schaffen, das zusammenzufassen und strukturiert auf den Weg zu bringen.

Tanja: Was waren in den letzten anderthalb Jahren die wichtigsten Schritte?

Martin: Der allererste Schritt war, dass wir engagierte Leute getroffen haben und gesagt haben: Okay, lasst uns das Projekt KI im MDR auf die Straße bringen. Zusammen mit MDR Next, dem Innovationsprogramm des MDR, haben wir ein allererstes Treffen der an KI interessierten Mitarbeitenden im MDR organisiert. In diesem ersten KI-Meetup ging es zunächst darum, einen gleichen Wissensstand aufzubauen. Wir haben festgestellt, dass wir zuallererst einen ethischen Rahmen brauchen. Den hatten sich auch andere Rundfunkanstalten oder andere Medienhäuser schon gegeben, aber er muss immer auch individuell für das eigene Medienhaus passen.

Tanja: Dieses erste Setup klingt zunächst wie eine Freiwilligenveranstaltung?

Martin: Genau. Es war das Engagement der Mitarbeiter:innen, weil die auch einen Druck gespürt haben. Aber dann wurde das sehr schnell aufgegriffen und auch professionalisiert. Wir haben diesen Prozess genutzt, tatsächlich alle Bereiche dazu zu bekommen, sich strukturiert mit dem Thema KI auseinanderzusetzen: Was wollen wir eigentlich mit diesen Technologien erreichen? Wo sind unsere Grenzen? Wo kann es uns helfen? Wie wollen wir damit umgehen? Und wir hatten dann eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die den Auftrag bekommen hat, Leitlinien zu erarbeiten. Diese Guidelines zeigen, wie der MDR zu KI steht und wohin er mit KI möchte. Ende 2023 hat die Geschäftsleitung die KI-Guidelines des MDR beschlossen.

Bettina: Ich finde es positiv, dass das Thema KI nicht so von oben nach unten durchgedrückt wurde, sondern dass es von den Mitarbeitern getragen wird, von ihrem Einsatz, von ihrem Interesse, von ihrem Enthusiasmus. Und das merkt man auch heute noch. Viele Ideen kommen direkt von den Mitarbeitern.

Tanja: Ok, ihr habt mit diesen Guidelines einen Rahmen gesteckt. Wie ging es weiter?

Bettina: Mit der Verabschiedung der Richtlinien hat die Geschäftsleitung gesagt: Wir wollen jetzt, dass sich eine Gruppe dauerhaft mit KI beschäftigt, und dabei auch über ethische Fragestellungen berät. Dieser KI-Beirat ist eine Weiterentwicklung der Guidelines-AG, wieder interdisziplinär, und befasst sich mit konkreten KI-Anwendungen und KI-Projekten. Außerdem arbeiten wir an einem Leitfaden für die redaktionelle Arbeit mit KI. Das ist schon ein dickes Brett, das wir da gerade bohren, weil es sehr konkret sein soll, aber gleichzeitig ein gewisses Abstraktionsniveau haben soll. Wir hoffen aber, dass wir damit langfristig auch viele Fragen beantworten.

Tanja: Es geht beim KI-Beirat nicht darum zu sagen, wir haben eine Idee, die oktroyieren wir euch auf, sondern eher darum, all das, was an allen Ecken und Enden an Ideen und Fragen kommt, in die richtigen Bahnen zu lenken?

Martin: Genau. Wir müssen eine Gleichzeitigkeit schaffen. Wir müssen sowohl an konkreten Projekten arbeiten als auch den ethischen, den juristischen Rahmen und auch den strategischen und strukturellen Rahmen im MDR stecken. Die Bedarfe sind jetzt da, und man hat gar keine andere Chance, als die Prozesse parallel laufen zu lassen. Das birgt sehr große Gestaltungschancen, denn man kann die Ideen der Mitarbeitenden aufnehmen und in einen strukturierten Prozess überführen.

Bettina: Gleichzeitig ist es schwierig, auch weil es so unterschiedliche Erwartungen gibt. Es gibt Kollegen, die ganz schnell loslegen wollen und sagen: Was redet ihr so theoretisch rum? Ich will jetzt dieses eine Tool XY nutzen. Kann ich das oder nicht? Und auf der anderen Seite haben wir die, die sagen: Nein, wir müssen aber erstmal überlegen. Was wollen wir eigentlich, wie wollen wir KI anwenden und wann und wo? Und genau in dieser Phase sind wir gerade. Das ist manchmal ein bisschen anstrengend, weil man das Gefühl hat, man kann niemandem so richtig gerecht werden

Martin: Der Vorteil ist, dass es mit dem KI-Beirat ein Gremium gibt, das die Akzeptanz aller Bereiche des Hauses hat. Das ist nicht eine von oben aufgesetzte Einheit, die plötzlich dazukommt, oder eine Einzelabteilung, die sagt, ich nehme mich jetzt des Themas an und sage, wo es langgeht, sondern eine hausübergreifende Einheit, die die Interessen bündeln kann. Und das finde ich bei allen Schwierigkeiten einen gelungenen Schritt.

Tanja: Das sind positive Voraussetzungen für einen Change-Prozess. Der Wille zur Veränderung kommt von den Leuten, die es am Ende auch umsetzen wollen und müssen. Funktioniert es deshalb so gut?

Martin: Es sind zwei Sachen, die zusammengekommen sind: Wir haben es von Anfang an darauf angelegt, dass jeder und jede tatsächlich teilnehmen und mitarbeiten kann. Es gibt unsere regelmäßigen Meetups, wo wir über die Prozesse im Haus sprechen, aber auch externe Expertinnen einladen und sagen: Wie machen das andere? Jeder, der sich für das Thema interessiert, kann dorthin gehen und seine Fragen stellen. Es gibt den Beirat, wo jeder Bereich vertreten ist und die Vertreterinnen ansprechbar sind. Der andere wichtige Punkt ist, dass wir auf offene Türen in der Geschäftsleitung gestoßen sind und das Mandat bekommen haben.

Tanja: Hattet ihr trotzdem zwischendurch mal das Gefühl: So wird das nichts?

Martin (lacht): Ja.

Tanja: Bestimmt ruft nicht jeder: Hurra, es gibt KI!

Bettina: Problematisch sind die unrealistischen Erwartungen, die an KI gestellt werden. Positiv oder negativ, aber unrealistisch. Positiv im Sinne von: Ich warte auf das Tool, das mir endlich alles abnimmt, was mich nervt. Und zwar ein Tool, nicht fünf verschiedene, einen KI-Helfer, der mir alles abnimmt. Sorry, das gibt es nicht! Negativ auf der anderen Seite die Vorstellung, dass KI uns jetzt alle arbeitslos machen wird. Es ist manchmal ein bisschen mühsam in den Austausch zu gehen, wenn man gar nicht so richtig weiß: Reden wir eigentlich gerade vom selben?

Tanja: Wie geht ihr damit um?

Bettina: Konkret haben wir relativ am Anfang schon einen Teams Channel eingerichtet, wo man sich updated, Artikel und Tools postet. Und MDR Next, unser Innovationsprogramm, hat das ganze Jahr 2024 unter das Thema KI gestellt und macht unterschiedlichste Angebote und Workshops für unterschiedlichste Zielgruppen.

Tanja: Was ist der nächste große Schritt? Ihr habt die Guidelines, ihr arbeitet an konkreten Handlungsanweisungen, ihr macht einzelne Projekte. Was ist der nächste Meilenstein?

Bettina: Wir haben gerade der Geschäftsleitung verschiedene Modelle vorgestellt, wie man KI ganzheitlich in die MDR-Struktur bringen könnte. Hier steht die finale Entscheidung noch aus. Nach der Sommerpause werden wir da weiter sein.

Tanja: Martin, Du bist der erste und einzige KI-Redakteur beim MDR. Welche Ressourcen bräuchte man?

Martin: Es gibt ja mehrere Leute, die sich im MDR aus unterschiedlicher Perspektive mit der Thematik beschäftigen. Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen befähigen, das entsprechende Know-how aufzubauen, und Menschen anziehen, die dieses Know-how haben. Alle konkreten Projekte werde ich ja nie und nimmer alleine lösen können.

Tanja: Es ist toll, dass so viel von den Mitarbeitenden kommt, aber es gibt diesen Punkt, an dem es explodiert und die Leute es nicht mehr schaffen.

Martin: Man muss mit irgendetwas beginnen. Und es gibt unterschiedliche Herangehensweisen. Man kann sagen, ich organisiere Struktur und Geld und Personal und setze eine große Struktur gleich von Anfang an auf. Oder man sagt: Wir arbeiten mit dem, was wir haben, und bauen das aus guten Gründen sukzessiv auf. Da gibt es immer Vor- und Nachteile bei allen Entscheidungen.

Tanja: Rückblickend auf die anderthalb Jahre, was hättet ihr mit dem Wissen von heute anders gemacht?

Martin: Ich habe ja vorher schon an verschiedensten Automatisierungsprojekten gearbeitet, für die wir viel Zeit investiert haben. Und mir ist ein bisschen nachgegangen, dass wir nicht genügend auf Nachhaltigkeit geachtet haben. Wir hätten noch besser dafür sorgen sollen, dass das Gelernte stetig nutzbar ist, auch in der Zeit danach. Das habe ich mir für die zukünftigen Projekte auf die Fahne geschrieben.

Tanja: Und was würdet ihr anderen raten, welche Learnings könnt ihr teilen?

Bettina: Ich finde es sehr positiv, dass wir so interdisziplinär herangehen. Gleichzeitig muss man darauf achten, dass man schlagkräftig genug bleibt und überlegt: Wo möchte ich eigentlich hin? Es gibt so viele verschiedene Stimmen. Man muss schauen, den eigenen Kompass nicht zu verlieren.

Martin: Im Rückblick war es tatsächlich das Cleverste, dass wir uns zuerst mit dem Kompass, den Guidelines, beschäftigt haben und dann erst in die Struktur, in die Strategie und in die konkreten Projekte gegangen sind. Mein Tipp: Egal wie klein oder wie groß man ist, versucht ein Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen aufzubauen, auch aus anderen Medienhäusern, die vielleicht ähnliche Fragestellungen haben. Das ist unglaublich! Alle, die konkret an diesen Fragestellungen sitzen, und egal wie weit sie sind, waren unkompliziert bereit zu teilen.

Tanja: Habt ihr den Eindruck, dass es bei KI einen anderen Spirit gibt als bei anderen Themen? So: Wir Pioniere müssen zusammenhalten?

Martin: Ich kann nur die journalistische Seite beurteilen. KI ist meistens Teil der Datenjournalismus-Bewegung. Das ist eine unglaublich innovationsoffene und gute Community, auch über die ARD-Grenzen hinweg. Wir haben gemeinsame Austauschkanäle, wo unter anderem der Der Spiegel und die Zeit dabei sind. Wir treten über Ländergrenzen hinweg regelmäßig in den Austausch, stellen unsere Projekte vor, teilen Methoden, beantworten Fragen. Für meine Begriffe ist das ein Nukleus für modernes digitales Arbeiten in den Redaktionen.

Bettina: Wir hatten gestern das letzte Treffen des KI-Beirats vor der Sommerpause. Eine junge Kollegin hat sich verabschiedet. Sie verlässt den MDR. Sie hat gesagt, dass der KI-Beirat ihr absolutes Highlight in den letzten Monaten war. Diese interdisziplinäre, offene und an der Sache orientierte Zusammenarbeit hätte ihr richtig gut gefallen. Das fand ich ein tolles Kompliment.

Tanja: Vielen Dank an Euch beide!

Bettina Friedrich arbeitet als Referentin in der Programmdirektion Leipzig des MDRs. Sie hat Journalistik und Slavistik in Leipzig und Zürich studiert. Nach einem Volontariat beim ZDF arbeitete sie in verschiedenen Redaktionen des MDR, in der Intendanz und für den Chefredakteur. Von 12/2022-03/2023 verbrachte sie als Journalist-in-Residence in Tübingen beim Cyber Valley Tübingen, Europas größtes KI-Forschungskonsortium.

Martin Paul ist Teil der Digitale Information des MDR. Als Redakteur für Künstliche Intelligenz beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten von Automated News, Algorithmen und KI im Journalismus. Er entwickelte automatisierte Wahlberichte für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und war Teil des JournalismAI Fellowship der London School of Economics and Political Science. Digitalen Journalismus hat er im Studiengang Multimedia und Autorschaft an der Universität in Halle und bei der Mitteldeutschen Zeitung gelernt. An der Universität in Leipzig studierte er Kulturwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. 

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